Zura – der erste Gärtner Georgiens

In einem Garten steht ein kleines blaues Haus mit rotem Dach, am Eingang auf der Veranda hängt ein Mantel, darüber ein Hut. Der Garten, das Haus, der Mantel und der Hut gehören Zurab Shevardnadze, er sitzt gerade auf der Bank, die im Schatten neben der Veranda steht. Den Mantel braucht er heute nicht, es ist ein warmer Frühlingstag. Einen Hut hat er immer auf. Zurab, von seinen Freunden und Kollegen Zura genannt, ist Gärtner. Auch Unternehmer, aber am liebsten Gärtner.

Zerbeulte deutsche Autos

Unternehmer muss er sein, da er sonst seiner Leidenschaft nicht nachgehen kann. Seine Gärtnerei liegt am Stadtrand von Tiflis, die Hauptstadt Georgiens. Durch viele Proteste, Bürgerkriege und militärische Auseinandersetzungen mit Russland in den vergangenen 25 Jahren ist das Land geschwächt und die Arbeitslosigkeit sehr hoch. In den Straßen von Tiflis haben Mütter ihre Kinder zum Betteln hingelegt. Es gibt zahlreiche Häuser ohne Türen und Fenster, daneben moderne Architektur. Überwiegend sieht man aber Plattenbauten und auf den Straßen rasen zerbeulte deutsche Autos, die ihre besten Kilometer wohl im Westen hinter sich gelassen haben.

Viele junge Georgier, die es sich leisten können, gehen zum Studium nach Europa – die meisten kommen nicht zurück. Auch Zura ist nach Europa gegangen. Er machte mehrere Praktika in Deutschland. Insgesamt sieben Jahre verbrachte er in München, Bonn und Frankfurt. Doch nie blieb er länger als drei Monate am Stück. Er ist stolzer Georgier, das Heimweh zog ihn immer wieder zurück. Nun ist er Mitte 30, hat eine eigene Gärtnerei und die Arbeitslosenquote damit etwas gesenkt. Schon bevor er seine Gärtnerei eröffnete, gründete er eine Gärtnerschule. Und auch heute noch besucht er regelmäßig Deutschland, Österreich und die Schweiz – seine Schüler nimmt er mit.

Zura ist ein Mann, der auf sein Äußeres sehr achtet: Gepflegter Bart, zum Hemd ein passender Schal und darauf abgestimmt der Hut. Das spiegelt sich auch in seinem Garten wider: Selbst geflochtene Körbe, in ausrangierten Schuhen wachsen Geranien und zwischen all der Blütenpracht steht ein blaues Klavier. Eine gewöhnliche Gärtnerei? Nein! „Ich bin konkurrenzlos“, erzählt Zura. „Es gibt zwar mittlerweile ein paar weitere Gärtnereien in Tiflis, doch niemand kann es mit so viel Liebe machen, wie ich es tue.“ Das Gespür für das Detail hat er tatsächlich und es wird von den Georgiern geschätzt. Allein seine Facebook-Seite gefällt über 63.000 Leuten. Jeden Mittwochmorgen macht er eine Fernsehsendung und der Bürgermeister bittet ihn um die Organisation eines Blumenfestivals.

Die Marktlücke für Pflanzen hat Zura erkannt und genutzt, doch sein Erfolg hat auch Kehrseiten für ihn: „Was mache ich nur mit den ganzen Leuten?“, fragt er sich, während er noch immer auf der Bank sitzt und das Geschehen in seinem Garten beobachtet. Es ist Feiertag, die Georgier haben frei und Zuras „Gardenia“, wie er seine Gärtnerei genannt hat, ist gut gefüllt. In dem kleinen Café, welches er zu seiner Gärtnerei eröffnet hat, ist kein Platz mehr frei. Klingt erstmal gut, würden sie doch alle auch etwas kaufen. Zura hat nicht nur einen Ort geschaffen, wo er sein Hobby auslebt und wohnt, sein Geld verdient und Arbeitsplätze schafft; er hat auch einen Ort geschaffen, wo die Georgier ihre Freizeit verbringen und vorzugsweise fotografieren. Teenager, die sich mit ihren Smartphones gegenseitig ablichten, aber auch Erwachsene, die Blüte für Blüte fotografieren. Die knapp 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Zura werden auf ihren Wegen durch die Gärtnerei von der unaufmerksamen Masse von Leuten, die auf ihre Handys und Kameras schauen, behindert. „Es bringt alles nichts“, sagt Zura. 

„Schilder würden in Deutschland wohl was bringen, aber hier merkt man doch schon im Straßenverkehr, dass sie niemand ernst nimmt.“
Zura Sherverdnadze
Gärtner

Den professionellen Fotografen hat er schon einen Riegel vorgeschoben. Vor zwei Jahren kamen sie für Hochzeitsfotos und brachten die gesamte Gesellschaft mit. Zura nimmt nun Geld dafür und er erhöhte die Preise so lange, bis sich die Zahl der Interessenten auf eine akzeptable Zahl reduziert hat. Gegen die Hobbyfotografen hat er wohl keine Chance. Eine Sache stört ihn besonders: „Die Leute beschweren sich, sie hätten kein Geld und zu wenig Arbeit hier in Georgien. Wie können sie sich nur die ganzen Geräte leisten?“ Es seien nicht nur die Reichen, die herkämen und fotografieren, fügt er hinzu. Er freue sich zwar über das Interesse der Leute an seinem Garten, aber so besonders fände er ihn auch nicht, dass man ihn so genau fotografieren müsse. Für Viele ist Zura selbst ein gern fotografiertes Motiv und manche beschädigen die Blumen beim Posen für die Kamera. Wenn er das sieht, hat seine Freundlichkeit ein Ende.

100 Lastwagen Müll

Für Zura ist die Verkaufszeit eine Qual. Alle wollen ihn sprechen, haben Fragen oder wollen einfach nur Quatschen. Dann sehnt er sich nach der Zeit, in der er mit seinem Team anpflanzt, Töpfe herstellt und den Garten gestaltet. Auch die Erde muss selbst gemacht werden, so ist es halt, wenn man mit seinem Geschäft allein ist. Der Aufbau seines kleinen Unternehmens war ein harter Weg. Als er das Grundstück kaufte, musste er über 100 Lastwagen Müll abtransportieren. Vorher konnte man gar nicht denken, dass auf der Fläche überhaupt noch einmal eine Pflanze wächst. Aber Zura hat’s geschafft! Und er hat sogar wohl einen der grünsten Orte in Tiflis geschaffen.

Morgens um neun Uhr öffnet Zura das Törchen. Pünktlich! Das ist nicht selbstverständlich in Georgien. Dann kommt auch Maro – eine seiner Mitarbeiterinnen. Sie ist 87 Jahre alt. Maro arbeitet jeden Tag acht Stunden. Hauptsächlich steht sie mit dem Gartenschlauch im Garten und gießt. Zwischendurch macht sie kleinere Arbeiten im Gewächshaus. Und das schafft sie? Maro ist zwar schon alt, aber voller Energie. Sie steht aufrecht und hat einen flotten Gang. Sie verstehe nicht, warum die Menschen immer sagen, es ginge ihnen schlecht, morgen würde es ihnen doch wieder besser gehen. Zura kennt Maro noch aus seiner Studienzeit, da machte er Praktika bei den städtischen Baumschulen, die es früher in der Nachbarschaft seiner Gärtnerei gab. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden diese privatisiert und die meisten gingen pleite. Neben Maro beschäftigt Zura weitere Frauen, die früher in den Baumschulen arbeiteten. Zura schätzt ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen. Die Frauen müssen zum Teil arbeiten, um ihren Lebensstandard halten zu können, doch für die meisten ist die Arbeit auch ihr Hobby und ihr Lebenssinn. In der hinteren Ecke, am Ende eines Gewächshaus, welches sich über die ganze Breite des Geländes streckt, steht ein graues Haus. Im Vergleich zu den anderen Bereichen des Gartens ist dieses sehr trist, aber größer als die anderen Häuser. Zuras Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kochen darin, machen Pausen oder bereiten das nächste Fest vor. Zu feiern gibt es Einiges und wenn es keinen Grund gibt, dann einfach so – auf das Leben.

Gardenia ist zu einem Ort geworden, wo sich Menschen zusammenfinden. Das Café hat Zura ursprünglich eröffnet, um seinen Gästen etwas anbieten zu können. Der Innenraum hat nur einen Tisch. „Das muss reichen“, meint Zura. „Ich habe eine Gärtnerei, kein Café. Die Leute sollen wegen der Blumen kommen, nicht um einen Tee zu trinken.“
Am Abend, wenn Zura das Törchen wieder für die Öffentlichkeit schließt, dürfen seine Freunde auch zum Trinken kommen. Dann gibt es aber keinen Tee, sondern georgischen Wein. Georgien ist bekannt für seine Weintradition und bei Festen darf dieser nicht fehlen. Dazu werden Kinkhali gereicht, das sind Teigtaschen mit einer Hackfleischfüllung. Für Vegetarier gibt es diese auch mit Pilzen oder Kartoffeln. Manchmal wünscht sich Zura deutsches Essen. Es ist abwechslungsreicher. Er habe die vielen Gurken und Tomaten satt. Zur Vorspeise gibt es diese fast immer. Gewürzt mit Koriander, so wie viele georgische Gerichte. Und darüber geraspelte Walnüsse.

Jeden Dienstagmorgen unterrichtet Zura in seiner Gärtnerschule, um Kontakt zu den Nachwuchsgärtnern zu halten. Sonst ist er selten dort. „Das Projekt ist für mich abgeschlossen, es läuft. Jetzt ist es Zeit für neue Projekte“, begründet er. Außerdem ist er mit der Kirche kaum einer Meinung. Die georgische orthodoxe Kirche ist Träger der Schule und stemmt die Kosten. Zuras Meinung nach sei die Kirche zu konservativ und habe zu viel Einfluss auf die Bevölkerung. Viele der Schüler holt er für Praktika in seine Gärtnerei, einige übernimmt er. Das Angebot hat Zura von Jahr zu Jahr erweitert. Mittlerweile braucht man nur noch seine Bestellung aufgeben und die Pflanzen werden bis an den gewünschten Ort geliefert. Sogar die Pflege privater Gärtnen ist möglich. Die Fläche seines Grundstücks hat er bis auf den letzten Meter ausgereizt. Nun ist das siebte Frühjahr erreicht, das war aber erst der Anfang. Was ist also für die Zukunft geplant? „Ich möchte mir eine Kuh kaufen“, erzählt Zura. „Sie soll überall eine Rolle spielen. Sie soll das Café mit Milch versorgen und in meiner Fernsehsendung muss sie auch auftreten“ In Gardenia wird es immer was Neues zu entdecken geben und Tiflis wird immer grüner.

Jan

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